Exkursion Hauptfriedhof 21.08.2022
(Michael Janke)
Gartenbautechniker Gerhard Hettwer entführte die Teilnehmenden der Exkursion am 21. August in die faszinierende Welt einer besonderen Grünfläche. Auch wenn der Hauptfriedhof kein botanischer Garten ist, bietet er aufgrund seiner hundertjährigen Geschichte und der aktuellen Pflegephilosophie Highlights, die vielfältige Einblicke in die Entwicklung von Bäumen und anderen Pflanzen unter dem Einfluss des Klimawandels in den letzten einhundert Jahren ermöglichen. Und er dient als Erkenntnisraum, etwa um zu erkunden, wie klimaangepasste Grünflächen gestaltet werden können.
Den Baum verstehen: So sind schon die Startbedingungen eines Keimlings für das Leben eines Baumes mitentscheidend. Geht der Sämling in der Nähe seiner Herkunft auf, profitiert er etwa von seinen epigenetischen Informationen bezüglich des Standortes (dies sind Vorteile regionalen Saatgutes, die auch für andere Pflanzen gelten). Er wird außerdem nicht, wie in der Baumschule, mehrfach verpflanzt, sondern kann sein Wurzelwerk art- und standortgemäß ausbilden. Diese Jungbäume erhalten keine künstliche Bewässerung und sind so darauf angewiesen sich den vorhandenen Bedingungen anzupassen, z. B. durch die Ausbildung eines tiefergehenden Wurzelsystems. Ein weiterer positiver Effekt dieser naturgemäßen Wurzelsysteme ist die wahrscheinlich höhere Resilienz gegenüber Sturmereignissen, die sich ja voraussichtlich auch in den nächsten Jahren häufen werden. Auf dem Hauptfriedhof wurden bereits zahlreiche Sämlinge am Ort ihrer natürlichen Aussaat geschützt und belassen. Die ältesten von ihnen haben sich bereits zu besonders starken und widerstandsfähigen Bäumen entwickelt.
Weitere fördernde Faktoren: Ein naturnaher Lebensraum mit Unterholz und herabgefallenen Blättern schützt in vielen Bereichen den Boden vor Austrocknung. Zudem werden in Feldern, die langfristig nicht für Bestattungen vorgesehen sind, Bäume nicht oder nur sehr schwach aufgeastet. Diese tiefer hängenden Äste (Schleppenbildung) schützen den Wurzelbereich auf natürliche Weise vor zu starker Erhitzung und verringern die Austrocknung des Bodens. Die Artenvielfalt, d.h. verschiedene Baumarten nebeneinander, schützt vor Krankheiten. Das Verteilen des Saatgutes, z.B. durch Tiere, sorgt für genetische Vielfalt. Ein Baum ist ein faszinierendes ‚kleines‘ Ökosystem und gleichzeitig wieder Teil eines ‚größeren‘. Das Verstehen und Unterstützen dieses Systems fördern eine gesunde Grünfläche. So sind etwa sterbende oder umgestürzte Bäume über viele Jahre Lebensraum für Vögel, Fledermäuse Wildbienen, Insekten und andere Tiere.
Ein weiteres Erkundungsfeld bietet die Sortenvielfalt des Gehölzbestandes. In der Vergangenheit wurden überzählige (teils exotische) Pflanzen aus der Anzuchtstation des botanischen Gartens auf dem Hauptfriedhof (und auch in andere Dortmunder Grünanlagen) gepflanzt. Auch an ihnen lässt sich erkennen, wie der Klimawandel wirkt. So zeigt sich etwa der Götterbaum durch die gestiegenen Temperaturen als invasiv, während der Kuchenbaum nicht mehr überlebensfähig ist.
Eine weitere Besonderheit ist der Zukunftsbaumweg. Hier werden Baumarten und -sorten vorgestellt, die nach jetzigen Erkenntnissen das Potential haben, auch in den nächsten Jahren mit den sich verändernden klimatischen Bedingungen zurechtzukommen. Er wird ständig aktualisiert. So wird die Anzahl von momentan 54 in der kommenden Pflanzperiode auf ca. 65 Arten erweitert. Hier wird auch beobachtet, ob sich diese Bäume für die Begrünung von Stadtflächen eignen, um dort kleine Grünoasen für die Menschen zu schaffen. Bebaute Gebiete stellen harte Herausforderungen für Bäume und Gehölze dar, denn es ist z.B. besonders heiß, luft- und bodentrocken, der Boden ist verdichtet und es fehlt der natürliche Lebensraum, z.B. zur Beschattung der Wurzeln. Bäume, die bereits unter den vergleichsweise guten Bedingungen eines großen Parkfriedhofes schwächeln, kommen für die o. g. Bereiche gar nicht erst in Frage. Dieser Zukunftsbaumweg dient somit neben der Präsentation auch der Vorauswahl bzgl. weiterer Verwendungsmöglichkeiten im städtischen Bereich.
Auf dem Hauptfriedhof gelingt das Experiment naturnahe Grünflächengestaltung (Mischbestände, Naturverjüngung durch den Schutz natürlicher Aussaat, Streuobstbestand) mit den vielfältigen Wünschen der Friedhofsnutzer, z.B. Friedhofswald, in der Balance zu halten. Vielen Dank an Gerhard Hettwer für die fachkundige Führung.